12.07.2017: Bundesgerichtshof: Unerwarteter Vermögenszuwachs nach Testamentserrichtung

Das deutsche Erbrecht unterscheidet zwischen der Einsetzung eines Erben und der Aussetzung eines Vermächtnisses. Der Erbe verfügt unmittelbar über den Nachlass; der Vermächtnisnehmer erhält nur Anspruch gegen den Nachlass auf Aushändigung bestimmter Gegenstände. Ist in einem Testament daher ein Erbe ausdrücklich benannt, so stellt es in der Regel kein schwerwiegendes Problem dar, wenn der später Verstorbene nach Errichtung seines Testaments – meist unerwartet – noch erhebliches Vermögen hinzu gewonnen hat. Dieses zusätzliche Vermögen soll dann typischerweise ebenfalls dem Erben zufallen. Ist in dem Testament aber kein Erbe ausdrücklich benannt, sind vielmehr nur die zur Zeit der Testamentserrichtung vorhandenen Gegenstände verteilt worden, stellt die unvorhergesehene Vermögensmehrung ein erhebliches Auslegungsproblem dar. In diesem Fall müssen laut dem BGH drei Fragen gestellt werden:
1) soll die Zuwendung eines bestimmten (besonders wertvollen) Gegenstandes statt als Vermächtnis ausnahmsweise als Erbeinsetzung ausgelegt werden?
2) hätte die später verstorbene Person an dieser Erbeinsetzung etwas geändert, wenn sie daran gedacht hätte, dass ihr nach Errichtung des Testaments noch weitere Objekte zufallen?
3) welcher Person hätte sie die zusätzlichen Gegenstände zugewendet, wenn sie an die Möglichkeit gedacht hätte, dass sich ihr Vermögen noch vermehrt?
Ob durch diese Rubrizierung tatsächlich Rechtssicherheit gewonnen wurde, scheint fraglich. Die Abgrenzung der Fragen von einander scheint fast ebenso schwierig zu sein wie die Beantwortung der Fragen durch die zuständigen Gerichte. Sicher scheint immerhin, dass auf den Willen des Erblassers jeweils zur Zeit der Testamentserrichtung abzustellen ist – und nicht auf einen möglicherweise erst nach Erhalt der zusätzlichen Gegenstände gebildeten Willen.

BGH Beschluss vom 12.07.2017, Aktenzeichen IV ZB 15/16